Außenansicht der Wallfahrtskirche Unserer Lieben Frau von Schienen
Das Bergdorf Schienen (heute Ortsteil der
Gemeinde Öhningen am Bodensee) liegt in einer der schönsten und unberührtesten
Gegenden am Bodensee, die seit 1155 Höri genannt wird (dreieckartige in den
Bodensee vorspringende Halbinsel). Die höchste Erhebung der Höri ist der 697
m hohe Schienerberg mit dem Bergdorf Schienen, dessen Ortsbild, freundlich
umrahmt von Streuobstwiesen und Wald, heute durch die romanische Kirche mit
ihrem malerischen Dachreiter und die Propstei mit ihrem hohen Walmdach geprägt
wird.
Die Entstehungszeit der Schiener Kirche wird kontrovers diskutiert. Wenn auch keine Quelle einen klaren Beleg für eine Frühdatierung liefert, so ist eine gleichzeitige Entstehung des Klosters Schienen und der Kirche in karolingischer Zeit (9. Jh.) nicht auszuschließen. Quellen, die eine rege Bautätigkeit an der Kirche belegen, finden sich für die erste Hälfte des 11. Jh. Die von Abt Berno auf der Reichenau reich entfaltete Bautätigkeit und künstlerische Ausstattung der sakralen Bauten auf der Insel, haben wohl bis auf den Schienerberg gereicht und die Tochtergründung Schienen konnte so von Ihrer Mutter reich profitieren.
Nach herkömmlicher Überlieferung gehörte die Schiener Kirche zu dem nach 800 durch Graf Scrot von Florenz gegründeten Kloster. Ein um 830 von einem Reichenauer Mönch verfasster Codex schildert die Entstehung des Klosters: Graf Scrot hatte in Rom für das zu gründende Kloster in Schienen die Reliquien des Märtyrers Genesius erworben. Das Kloster erlebte seine Blüte im 9. Jh. und wurde Anfang des 10. Jh. dem Kloster auf der Insel Reichenau inkorporiert. 1757 wurde es aufgehoben.
Neben der Verehrung des Kirchenpatrons, des heiligen Genesius (zeitgenössischer Wandteppich im Chorraum), hat sich in Schienen im 16. Jh. die Wallfahrt zu "Unserer Lieben Frau von Schienen" (Wallfahrtsbild um 1430) etabliert. Vor allem nach den kriegerischen Wirren im 17. Jh. vertrauten sich viele Gläubige dem Schutz der Gottesmutter an. Auch Wunderheilungen sind belegt (Votivbilder). Heute lässt sich ein spürbares Wiedererwachen der Wallfahrt feststellen (s.u.).
Die Kirche, umgeben vom Friedhof, ist äußerlich
geprägt vom originellen Dachreiter auf dem Mittelschiffdach. Über einem
verschindelten quadratischen Unterbau, dessen Uhr auf der Südseite in zwei
Zifferblättern (eines für die Minuten, eines für die Stunden) die Zeit kündet,
erhebt sich ein achteckiger, keck vorkragender Spitzhelm. Fenster und Portale
der Kirche lassen vielfältige Stilformen erkennen. Beachtenswert sind die
Rundfenster, die knapp unter der Dachtraufe angebracht wurden. Sie stammen
wohl aus barocker Zeit, als mit ihrer Hilfe der bis dahin romanisch dunkle
Kirchenraum aufgehellt wurde. Daneben künden Rundbogenfenster mit spätgotischem
Maßwerk von der Bautätigkeit aus noch früherer Zeit.
Ein eindrucksvoll archaischer Raum
erwartet den Besucher im Innern. Kein noch so unauffälliges Schmuckelement
lenkt ab von der klaren Geometrie. Die Seitenschiffe werden begrenzt von
halbrund geschlossenen niedrigen Arkaden, die auf fünf Freipfeilern ruhen.
Die schmucklosen Wandflächen sind weiß verputzt. Eine frei belassene Fläche
im Chor gewährt Einblick in den aus Wacken errichteten Mauerverband. Eine
schwere Holzbalkendecken bildet den oberen Abschluss des eindrucksvollen
Innenraums, dessen Geschlossenheit sich die wenigen Ausstattungsstücke
unterordnen.
Viele Ausstattungsdetails
stammen aus der Zeit des 16. Jh. als die halbverfallene Kirche wieder
errichtet wurde (Kreuzigungsgruppe; Evangelistenfiguren der früheren Kanzel;
Gemälde zur Wallfahrt und zum legendenhaften Anlass des Wiederaufbaus). Diese
Ausstattung hielt Stand bis zum Beginn des 20. Jh. als ab 1904 der schlichte
romanische Raum im Sinne eines Gesamtkunstwerks mit einer völlig neuen
Innendekoration ausgekleidet wurde. Opulente Decken- und Wandmalereien ergaben
mit den neu geschaffenen Glasfenstern, den prächtigen neuen figurenreichen
Altären das Bild einer späthistoristischen Kirchenausstattung. In den
1960er-Jahren wurde diese Ausstattung wieder entfernt und damit der Versuch
unternommen, einen vermeintlichen "Urzustand" wieder herzustellen.
Die letzte umfassende Renovierung erfolgte im Jahr 2002 zusammen mit der
Neugestaltung der Stufenanlage im Chor, des Zelebrationsaltares, des Ambos und
weiterer liturgischer Ausstattungsdetails.
Ein Wandgemälde aus der Zeit vor 1450 stellt in einer Rundbogennische die
betende Familie des Schiener Adelsgeschlechts dar. Das Gnadenbild, eine
zierliche, liebreizende Statue der sitzenden Gottesmutter, ist in den späten
1430-Jahren entstanden. Eingestellt in die Mittelnische des neogotischen
Gnadenaltars, wurde das Bildwerk 1981 gestohlen, konnte aber auf wunderbare
Weise wieder gefunden werden. Im Chorraum befindet sich die bemerkenswerte
Skulptur des als Ritters dargestellten Erzengels Michael mit erhobenem
Schwert.
Der Öhninger Metallbildhauer und
Goldschmied Jan Dix, Sohn des in Hemmenhofen lebenden Malers Otto Dix, schuf
1963 den neuen Tabernakel. Zusammen mit einem Standkreuz bildet der vollständig
versilberte Sakramentenschrein einen wohltuenden Akzent in einem sehr
schlichten Ambiente. Tabernakel und Kreuz sind hervorragend abgestimmt auf die
Verglasung des Chorostfensters, die 1961 nach Entwürfen von Prof. Anton
Wendling entstand. Mit der gelungenen Neugestaltung des Chorraumes (2002)
konnten die erforderlichen Anpassungen an die Erfordernisse der heutigen
Liturgie harmonisch vollbracht werden.
Seit einigen Jahren steigt spürbar das Interesse an der Kirche in Schienen. Deutlich mehr Gruppen als früher besuchen das Gotteshaus. Nicht nur kunsthistorisch interessierte Besucher suchen das zu den ehrwürdigsten und eindrucksvollsten, freilich unbekanntesten Gotteshäusern am Bodensee auf. Dazu kommen viele Gläubige, die die alte Tradition der Wallfahrt auf den Schienerberg neu beleben. Die Wallfahrtskirche ist wieder ein beliebtes Ziel von Fußwallfahrern, die teils im Alleingang oder auch als große Gruppenfußwallfahrt aus der schweizerischen und deutschen Nachbarschaft auf dem steilen alten Pilgerweg ("Stationenweg" von Bohlingen nach Schienen) ihr Ziel in Schienen erreichen.