Gärtringen 

St. Veit-Kirche

 

 

Die Gärtringer Sankt Veit Kirche

 

Die Kirche in Gärtringen hat ihre heutige Gestalt in der Zeit zwischen 1485 und 1500 erhalten. Das spätgotische Schiff wurde damals an den Kirchturm angebaut, der schon 1460 fertiggestellt wurde. Dabei wurde die Achse des Gesamtbaus leicht nach Süden verschoben. Das Dach des Turms erhielt seine heutige Form im 17. Jahrhundert. Die Kirche liegt auf einem erhöhten, ummauerten Platz, der bis 1731 auch als Friedhof diente. Nach der Gesamtanlage und insbesondere der Art des Turmes kann die Gärtringer Kirche zu den Wehrkirchen gerechnet werden, in die sich die Bevölkerung bei Kriegsgefahr mit Vorräten zurückzog. Reste der Wehrmauer sind noch vorhanden. Auf der Südseite ist heute noch der Begräbnisplatz der Familie Hiller von Gaertringen, die seit 1635 hier ansässig ist.

Gärtringen gehörte bis ins späte 14. Jahrhundert dem Pfalzgrafen von Tübingen. 1382 erwarb Graf Eberhard von Württemberg das Dorf zusammen mit Herrenberg und zahlreichen Nachbardörfern für das Haus Württemberg, dessen Herrschaft Gärtringen seither unterstand. Auch der Kirchensatz - die Verantwortung für die Einsetzung der Pfarrer und den Bau der Kirche - ging damals an Württemberg über, das diese Rechte 1455 einem in Herrenberg neu gegründeten Stift (Stiftskirche!) überließ, nach der Reformation aber wieder unmittelbar ausübte. Seit dem 12. Jahrhundert sind in Gärtringen Edelleute nachweisbar ansässig, die sich ,von Gärtringen' nannten. Zur Zeit des Kirchenbaues war dies das Geschlecht der Harder von Gärtringen, deren Grabmäler unter anderen in der Kirche zu sehen sind. Ihr Wappen zeigt zwei mit den Rücken gegeneinandergekehrte Sicheln. Grabsteine und Wappen anderer adliger Familien, die vorübergehend in Gärtringen ansässig waren, so z.B. die Herren von Waldeck, sind Zeichen für ihren Einfluß auf das Leben von Dorf und Kirche.

Die Kirche ist dem Heiligen Veit geweiht. St. Veit gehört zu den vierzehn Nothelfern, die als besondere Helfer in allen Nöten angerufen wurden. Er wurde der Legende nach in Sizilien unter Kaiser Diokletian im Jahre 303 zum Märtyrer. Im Mittelalter erfuhr er eine große Verehrung (St. Veits-Dom in Prag etc.). Auch in Ehningen hat offenbar eine St. Veits-Kapelle bestanden. Die Gärtringer Kirche ist durchgehend netzrippengewölbt im Schiff, in den Einsatzkapellen zwischen den Strebepfeilern, im Chor und in der Sakristei. Alle Fenster sind spitzbogig und mit gotischem Maßwerk gefüllt. Aus der frühgotischen Zeit stammt noch ein schmales Fenster an der Nordseite des Langhauses. Ein Vorbau an der Westseite (Paradies genannt) bildet den Haupteingang. Auch er hat ein Netzgewölbe mit einem Schlußstein des Schutzpatrons St. Veit. Die Schlußsteine im Schiff und im Chor sind besonders schön. 


 
Die Kirche ist mit verschiedenen Bildern, Fresken und Grabdenkmälern ausgestattet. Im Schiff auf der Nordseite ein Ölgemälde zur Erinnerung an Ulrich Oberanns, das Jüngste Gericht darstellend. Ulrich Oberanns, dessen Frau eine geborene Maier aus Gärtringen war, war Bereiter (Stallmeister) in Tübingen beim Fürstlichen Collegium, in dem heute das Wilhelmsstift untergebracht ist. Er ist 1672 gestorben. Von ihm ist auch das Kruzifix, gestiftet im Jahre 1665. Sein Wappen ist an der Südseite des Schiffes angebracht. Ebenfalls auf der Nordseite befinden sich die Gestalten des Mose und Josua.

Beim Aufgang der Kanzel ein Ornament, das bei der Kirchenerneuerung 1965 unter dem Verputz hervorkam. Vermutlich bildete es den Hintergrund für einen Seitenaltar. Über der Kanzel ein sinniger Spruch:

Ain Artzney wider das Laster der Hinterreden / Gedenken gotes gegenwirtigkeit hab ine vor augen / dan er ist zugegen an allen enden / und in desse gegen ... ein yeglicher redt der da redt / und nit allein das / sonder auch ansieht das hertz / und vergiltet ainem yeglichen nach seinen wercken und darümb / wendt reden witt / so bitt Gott / das er huet setzen wöll deinem munde.

In unserer Sprache würde das etwa so lauten: Eine Arznei gegen das Laster der üblen Nachreden: Gedenke an Gottes Gegenwärtigkeit und habe ihn vor Augen, denn er ist zugegen an allen Enden. Und in seiner Gegenwart redet ein jeglicher, wenn er redet. Und nicht allein das, Gott sieht auch das Herz an und vergilt einem jeglichen nach seinen Werken. Darum, wenn du reden willst, so bitte Gott, daß er deinen Mund behüten möge.

In der südlichen Einsatzkapelle beim Taufstein hängt ein auf Holz gemaltes Kreuzigungsbild. Dieses ist Pfarrer M. Wilhelm Gmelin, einem der ersten evangelischen Pfarrer in Gärtringen, und seiner ganzen Familie gewidmet. Er war von 1565 bis 1611 hier im Amt. Das Bild stammt von Gmelins Enkel, dem Tübinger Professor für hebräische Sprache, Wilhelm Schickhardt, der die erste bekannte Rechenmaschine konstruiert hat. Ein nachgebautes Modell befindet sich bei der IBM in Sindelfingen.

In einer anderen südlichen Einsatzkapelle befindet sich ein Wandbild, welches Christus in der Kelter darstellt (1665). Außerdem gegenüber Simeon mit dem Christuskind und in der nächsten Seitenkapelle Daniel in der Löwengrube. Im Chor waren die zwölf Apostel abgebildet, dar unter in zwölf Sätzen das Apostolische Glaubensbekenntnis. Die drei letzten der Apostel auf der Nordseite wurden bei der Renovierung 1965 zugunsten eines Wandteppichs, der auf einer älteren Schicht der Wand freigelegt wurde, weggenommen. Kunstsachverständige sehen bei dem Wandteppich eine Ähnlichkeit mit Werken des großen Malers Jörg Ratgeb um 1500. (Besonders die spätgotischen Engel, die den Wandteppich halten.) Vielleicht bildete er einmal den Hintergrund für ein Sakramentshaus. Außer den Apostelgestalten sind noch ein Christusbild, ein Bild Johannes des Täufers, Erzengel Raphael und der Apostel Paulus mit dem Schwert im Chor zu sehen. Vermutlich alle um 1665.

Im Chor befindet sich eine Reihe von steinernen Grabdenkmälern aus dem 15. und 16. Jahrhundert. Sie erinnern an Geistliche und Angehörige des Ortsadels, die damals in der Kirche beigesetzt wurden. Das besterhaltendste für Johann Renhart von Gärtringen, genannt Harder (1519) ist eine ausgezeichnete Bildhauerarbeit, die Christoph von Urach zugeschrieben wird. Ein weiteres auffälliges Grabmal ist das des Hans Harder von Gärtringen, dem letzten Angehörigen der Familie Harder, gestorben 1559. Als Zeichen für das Aussterben der Familie hat man sein Wappen gestürzt. Der Grabstein müßte eigentlich umgekehrt angebracht sein, damit dies deutlich wird; dann wäre auch die Schrift besser lesbar (rechts neben dem Eingang in die Sakristei). Links davon ist ein Grabmal einer unbekannten Frau in Witwentracht sehr gut erhalten. Dem Johann Renhart von Gärtringen ist auch der Totenschild an der Westwand des Schiffes gewidmet, dem letzten Angehörigen der Familie, Hans Harder von Gärtringen, der Totenschild in der Turmkapelle. Der dritte Totenschild der Kirche hängt am Nordaufgang zur Empore und ist für Paul von Gültlingen, gestorben 1530. Die letzte Beisetzung in der Kirche fand 1796 statt.

Der Taufstein ist spätgotisch, aber überarbeitet und mit einem neuen Sockel versehen. Das Orgelgehäuse stammt aus dem Jahre 1762, wohl von Johann Sigmund Hausdorfer. Die Chorfenster wurden bei der letzten Renovierung 1965 von der Werkstatt Saile, Stuttgart, gefertigt. Auf dem linken Fenster oben die Prophetengestalten Sacharja Hesekiel, Maleachi, Micha, Jesaja und Joel. Dann ein Geburtsbild mit den drei Königen und den Hirten. Unten Adam und Eva mit der Schlange. Dieses ist das Weihnachtsfenster. Rechts das Osterfenster. Oben die Frauen am Grabe mit dem Engel. In der Mitte der auferstandene Herr, darunter das Pfingstgeschehen. Unten die Ausbreitung des Evangeliums durch den Märtyrer Stephanus, der gesteinigt wird, und den Apostel Paulus mit dem Schwert des Geistes. Das Fenster in der Mitte zeigt das himmlische Jerusalem mit den zwölf Toren und den zwölf Perlen, von Engeln bewacht. Darunter die durch das Blut Christi erlöste Gemeinde auf dem Weg zum oberen Jerusalem, von zwei Engeln begleitet (Rote Scherben auf den Gewändern). Direkt hinter der Orgel befinden sich acht Jugendstilscheiben von 1913.

In der Sakristei sind auf einer Holztafel alle evangelischen Pfarrer, die in Gärtringen amtierten, aufgezählt. Auch zwei alte, sehenswerte Schränke stehen dort.

Der Turm hat eine Höhe von 38,50 Metern. Die Mauern sind unten 2,80 Meter, verjüngen sich aber nach oben. Der Turm besteht aus vier Stockwerken, hat ein einfaches Satteldach mit abgeschrägten Giebeldecken. Das untere Stockwerk ist zum Kirchenschiff hin geöffnet und mit einem schönen Kreuzgewölbe versehen. Der Glockenstuhl stammt aus dem Jahre 1527. Von den fünf Glocken ist die älteste und größte aus dem Jahre 1456. Sie wiegt 1250 kg. Ihrer Größe ist es zu verdanken, daß sie im Zweiten Weltkrieg nicht eingeschmolzen wurde, da man sie nicht zum Turmfenster hinausbrachte. Sie hat die Inschrift: Lucas + Marcus + Matheus + iohannes anno domini milesimo MCCCCLVI. Drei weitere Glocken wurden nach dem Krieg von der Glockengießerei Kurtz in Stuttgart wieder neu gegossen. Die Betglocke 1949, 847 kg, Inschrift: Wachet und betet. Die Gedächtnis- und Friedensglocke 1954, 607 kg, Inschrift: Er ist unser Friede. Die Zeichenglocke 1954,366kg. Sie war bis zum Jahre 1996 die Taufglocke Inschrift: Lasset die Kindlein zu mir kommen. Die fünfte Glocke Taufglocke, 260 kg, Inschrift: Soli deo gloria wurde 1996, anläßlich des 500 jährigen Kirchenjubiläums von der Glockengießerei Bacher in Heilbronn gegossen

Wer die Gärtringer Kirche im Auftrag des Herrenberger Stifts gebaut hat, ist heute nicht mehr mit Sicherheit festzustellen. Von Kunstgelehrten werden Ähnlichkeiten festgestellt mit den Werken berühmter Kirchenbaumeister des späten 15. Jahrhunderts, die am Kloster Maulbronn und an der Stiftskirche in Stuttgart gearbeitet haben. Die Gärtringer Kirche wird mit Recht als "eine der besterhaltenen und reich angelegten spätgotischen Dorfkirchen des Landes" bezeichnet.

 

 

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